Und plötzlich dachte ich wieder an das, was mein Großvater Alois mir einst beigebracht hatte.
An diesem Abend konnte ich vor Sorge um Leo kaum schlafen. Also stand ich auf, ging in die Scheune – und holte eine alte Holztruhe hervor, die ich seit Jahren nicht mehr geöffnet hatte.
Zwischen vergilbten Familienfotos, Stallbüchern und einem verrosteten Kuhglockenriemen fand ich es:
Das alte Notizbuch meines Großvaters.
Vorsichtig klappte ich es auf. Die Seiten rochen nach Heu und Zeit. Und auf einer der letzten Seiten stand es: Das alte Magen-Kräuterrezept, das er für Max und all die Hofhunde davor genutzt hatte.
In seiner Handschrift, mit Bleistift geschrieben: „Für innere Unruhe. Für den Bauch. Für ruhige Pfoten.“
Ich erinnerte mich an alles: Etwas Kamille. Ein Löffel getrockneter Fenchel. Frische Hagebutten vom Zaun. Eine Handvoll Moorerde aus dem Hang hinterm Stall. Ein kleines Stück Ulmenrinde, abgeschabt mit dem Taschenmesser.
Alles in einen warmen Sud aus Karotten und Hafer geben – und täglich unter das Futter mischen.
Darunter stand dick unterstrichen: „Die Mischung für innere Ruhe.“
Was dann geschah, konnte ich selbst kaum glauben.
Am nächsten Morgen erzählte ich meiner Frau Rosa von meinem Fund. Sie war sofort begeistert – und begann noch am selben Tag, die alte Brühe nach Großvaters Rezept zuzubereiten.
Ich ging hinaus, sammelte die Kräuter, kratzte ein Stück Ulmenrinde vom alten Baum neben dem Stall – genau wie er es mir einst gezeigt hatte.
Am Abend gaben wir die Mischung über Leos Futter.
Er schleppte sich langsam zum Napf… und fraß alles auf. Es schien ihm sogar zu schmecken.
Der erste Tag verstrich ohne Veränderung.
Doch am zweiten Tag sah ich es: Leo stand leichter auf. Das Lecken wurde weniger. Seine Pfoten – nicht mehr rot.
Die Unruhe in seinem Blick? Verschwunden.
Nach einer Woche war mein alter Freund wie verwandelt. Kein Zittern mehr. Keine schmatzenden Nächte. Kein endloses Lecken an den Pfoten.
Ich hätte es selbst nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
Zwei Wochen zuvor sagte man mir, Leo werde nie wieder ganz gesund. Und jetzt? Jetzt trottete er morgens neben mir her – bergauf zur Weide, mit wachem Blick und festen Schritten.
Keine Unruhe. Kein Lecken. Kein Zögern.
Ich schaute ihn an, wie er den Hang hinaufstieg, den Pfad kannte wie eh und je. Und plötzlich war er wieder da: mein alter Leo – nicht krank, nicht gebrochen, sondern ruhig, aufmerksam, bereit.
In diesem Moment kamen mir wieder die Worte meines Großvaters in den Kopf:
„Wenn’s dem Hund gut geht, geht’s auch dem Hof gut.“
Ich wusste: Er hatte recht.
Und ja, er schlief wieder ruhig. Er war wieder der Alte …